Frugale KI und vernetzte Sensorik: Technologie als Schutzfaktor
Die Gefechte der Gegenwart verlangen nach neuen Lösungen: Sie verlaufen schnell, dynamisch und oft unvorhersehbar. Die Erfahrungen aus der Ukraine zeigen deutlich, dass starre, konventionelle Ansätze der Vergangenheit angehören. Sensoren, Radare und Kameras müssen agil vernetzt sein, Datenfluten intelligent ausgewertet werden – und KI spielt dabei eine zentrale Rolle.
KI ist unverzichtbar, weil sie hilft, die enorme Datenflut zu filtern

Sven Weiß
Director Strategic Account Bundeswehr, Thales Deutschland
Wie wirken sich die Erfahrungen aus den aktuellen Konflikten, insbesondere dem Krieg in der Ukraine, auf Ihre Produktstrategie aus?
Der Ukraine-Krieg zeigt, dass wir uns von starrer, konventioneller Kriegsführung entfernen. Statt isolierter Systeme müssen Radare, Kameras und Sensoren agil vernetzt werden, um ein gemeinsames Lagebild zu erzeugen, und zwar auch dann, wenn Frontlinien sehr dynamisch verlaufen. KI ist dabei unverzichtbar, weil sie hilft, die enorme Datenflut zu filtern: etwa Drohnentypen zu unterscheiden oder Gefechtsfahrzeuge zu klassifizieren.
Wir bekommen zudem durch den Ukraine-Einsatz unseres Bodenüberwachungsradars Ground Observer 12, kurz GO12, unmittelbares Feedback. Diese Rückmeldungen fließen direkt in die Weiterentwicklung ein – viel schneller, als dies in klassischen Beschaffungsprozessen möglich ist. Wir entscheiden heute zeitnah, ob eine Änderung sinnvoll ist, und setzen sie mit kurzen Zyklen um; zumindest, solange sie nicht tief in die Architektur eingreift. Geschwindigkeit ist der wesentliche Faktor für den Erfolg.
Heißt das, die Entwicklungszyklen haben sich beschleunigt?
Absolut. Früher dauerten Entwicklungs- und Beschaffungsprozesse viele Jahre. In der Ukraine mussten alle Beteiligten pragmatischer und agiler arbeiten. Wir entscheiden heute sehr schnell, ob eine Änderung sinnvoll ist, und setzen sie mit kurzen Zyklen um; zumindest, solange sie nicht tief in die Architektur eingreift. Geschwindigkeit ist wesentlich und trägt zum Erfolg auf beiden Seiten bei.
Das GO12 gilt als eine der Schlüsselkomponenten Ihres Portfolios. Was macht es so effektiv?
Unser Bodenüberwachungsradar ist kompakt, in wenigen Minuten einsatzbereit und mit nur zwei Personen transportierbar. Es deckt Distanzen bis zu 30 Kilometern ab und kann auch kleine Drohnen erfassen. Vor allem aber ist es leicht zu bedienen: Soldatinnen und Soldaten können nach zwei Wochen Ausbildung das System voll nutzen, selbst ohne Radar-Vorkenntnisse.
Und welche Vorteile bietet Ihre offene Edge-Computer-Vision-Plattform?
Sie erlaubt, Sensoren unterschiedlicher Herkunft einzubinden. Streitkräfte sind nie ausschließlich mit Thales-Geräten ausgestattet. Unsere Software ist deshalb offen, damit auch Sensoren anderer Hersteller integriert werden können. So bleibt das Lagebild vollständig, auch wenn ein System ausfallen sollte.
Sie setzen zum Teil in Ihren Systemen auf sogenannte „frugale KI“. Was bedeutet das?
Unsere Systeme laufen batteriebetrieben und müssen unabhängig vom Netz funktionieren. Frugale KI bedeutet: Die Künstliche Intelligenz, die hier zum Einsatz kommt, ist ressourcenschonend, offline und auf das Nötigste fokussiert. Statt einer Cloud-Anbindung oder riesiger Datenmengen arbeitet der Algorithmus direkt im Gerät und unterstützt den Operator nur dort, wo es entscheidend ist, zum Beispiel bei der schnellen Unterscheidung von Fahrzeugtypen.
Intuitive Bedienung ist im Gefecht überlebenswichtig. Wie stellen Sie das sicher?
Durch klare Visualisierungen, das Filtern irrelevanter Daten und mithilfe möglichst einfacher Menüs. KI nimmt den Bedienenden bereits einen Teil der Kategorisierung ab. Das System zeigt an, ob es sich um Gefechtsfahrzeuge, Drohnen, Infanterie oder sogar Wildtiere handelt, damit die Soldatinnen und Soldaten ihre Aufmerksamkeit auf die wirklich relevanten Ziele richten können.
Welchen Beitrag leisten Ihre Systeme ganz konkret für die Überlebensfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten?
Ein Beispiel: Mit dem GO12 können Drohnen, selbst solche mit Glasfasersteuerung, frühzeitig aufgeklärt werden. Das verschafft Zeit, Streitkräfte oder die Zivilbevölkerung zu warnen und Schutzmaßnahmen einzuleiten. Damit tragen unsere Systeme tatsächlich zur Rettung von Menschenleben bei – nicht nur militärisch, sondern auch im zivilen Umfeld.
Sie planen auch die Integration von Drohnen und Loitering Munition. Was eröffnet das für Möglichkeiten?
Die Kombination aus Bodenradar, Kameras, Drohnen und Loitering Munition ermöglicht es, Ziele nicht nur frühzeitig zu erkennen und zu klassifizieren, sondern – wenn militärisch erforderlich – auch direkt Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Das bietet Kommandeuren und Führern vor Ort größtmöglichen Handlungsspielraum bei der Ausübung Ihres Auftrages. Ein vollständiges Lagebild, Entscheidungsgeschwindigkeit und direkt zur Verfügung stehende Effektoren ermöglichen dann schnelleres Handeln, ohne zum Beispiel bei höheren Kommandostrukturen den Artillerieeinsatz anzufordern.
Wichtig ist: Eine wichtige Doktrin der Streitkräfte bleibt „Human in the Loop“. Die KI unterstützt zwar den Operator dabei, in seiner Funktion schneller und präziser zu identifizieren und zu priorisieren, aber die finale Entscheidung obliegt am Ende immer dem Menschen. KI unterstützt, aber sie ersetzt niemals den Menschen, der in der Entscheidungskette über taktische Notwendigkeiten und lohnende Ziele entscheidet. Ziele und Entscheidungen zu ihrer Bekämpfung sollten immer aus einem Gesamtlagebild heraus bewertet werden und hinsichtlich ihrer taktischen Notwendigkeit überprüft werden, um den größtmöglichen Erfolg zu erzielen.

Weitere Informationen finden Sie unter: