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Immer nach vorne und nie zurück schauen!

Im Interview spricht er über seine Lähmung und erzählt, wie es dazu kam, dass er erfolgreicher Marathon-Handbiker wurde.

Herr Winkler, Sie sind seit einem Badeunfall 2003 querschnittsgelähmt. Wie haben Sie es geschafft, mit der Diagnose fertig zu werden?

Da ich früher Motorrad gefahren bin und keinen Blödsinn gescheut habe, habe ich mir damals als „Fußgänger“ schon immer gedacht, falls mal was passiert in diese Richtung, dann nicht aufgeben und das Beste daraus machen. Als es dann tatsächlich dazu kam, war es natürlich nicht so leicht, wie zuvor immer gedacht. Da meine Familie, meine Freunde und vor allem meine damalige Freundin stets voll hinter mir standen und ich sehr bald nach vorn blickte, fiel ich zum Glück nie in ein richtiges „Loch“.  Ich habe mir sehr bald in der Klinik zwei Sachen vorgenommen. Das eine war, ich will wieder so selbstständig wie möglich werden, und zum Zweiten möchte ich die Behinderung den Menschen näherbringen.

Wie haben Sie diese umgesetzt?

Stück für Stück habe ich Selbstständigkeit zurückgewonnen und nach rund sieben Jahren habe ich es geschafft, komplett selbstständig zu sein. Dabei habe ich mich nie versteckt, habe offen über meine Behinderung geredet und auch so Barrieren abgebaut. Durch meine Offenheit und durch meine Wissbegierde kam ich mit vielen Menschen – behindert und nicht behindert – in Kontakt und konnte mir so eine Art Netzwerk aufbauen, wo ich Fragen stellen konnte.

Wie sieht es denn im medizinischen Bereich aus: Welche therapeutischen Verfahren wurden bei Ihnen angewandt, um Symptome und Krankheitsverlauf erfolgreich zu beeinflussen?

Ich war nach meinem Badeunfall rund sechs Monate in der BG Unfallklinik in Murnau. Als erste Maßnahme wurde meine Wirbelsäule im beschädigten Halswirbelbereich mit einem „Metallkorb“ fixiert. Das war die Notfallversorgung. Um mich danach für mein Leben im Rollstuhl vorzubereiten und um notwendige neue Fähigkeiten zu lernen, bekam ich Physiotherapie, Ergotherapie, Rollstuhltraining, Massagen, Akkupunktur, Gerätetherapie und Stromtherapie.

Und heute, zehn Jahre danach?

Gehe ich weiterhin zur Physiotherapie und zur Massage. Massage, damit die überlasteten Schultern etwas schmerzfreier sind. Bei der Physiotherapie werden öfter die Beine durchbewegt oder der Oberkörper gedehnt. Zudem mache ich ab und an Rolli- und Krafttraining.

Gibt es auch Möglichkeiten, über chirurgische Eingriffe den Zustand eines Tetraplegikers zu verbessern?

Meines Wissens gibt es die Möglichkeit, Muskeln und deren Nerven versetzen zu lassen, an nicht mehr aktive Muskeln. Diese Variante ist umstritten und auch nicht bei jedem einsetzbar. Nach meiner Auffassung ist es aber wichtiger, die Lähmung anzunehmen und aus der Betroffenheit das Beste zu machen. Das Ziel sollte sein, einen geregelten Alltag hinzubekommen und nicht zu warten, bis die Medizin eine Heilung des Querschnitts hat, oder sich auf medizinische Wagnisse einzulassen.

Sie sind erfolgreicher Handbiker. Wie sind Sie zu diesem Sport gekommen?

Mein Problem zu Beginn war, dass ich mit meinem Alltagsrollstuhl keine weiten Strecken oder Hügel fahren konnte. In der Klinik wurden mir aber damals schon Alternativen gezeigt. Eine war ein Vorspannbike, das ist ein Handbike mit Hilfsmotor, das man an den Alltagsrolli montiert.

Und solch ein Handbike legten Sie sich zu?

Ja. Zuerst schaffte ich gerade fünf bis zehn Kilometer mit Motorunterstützung. Mein Ehrgeiz war geweckt und einige Monate später fuhr ich bereits über 50 Kilometer.

Wie ging es sportlich weiter?

2007 lernte ich Bernd Jost kennen, der die gleiche Lähmungshöhe wie ich hat und er erzählte mir, dass er auch Handbike fährt, allerdings ein Liegebike. Bis dato konnte ich mir nicht vorstellen, wie das mit unserer Lähmungshöhe gehen sollte. Er zeigte es mir und so kam es, dass ich mir 2007 auch ein Liegebike kaufte und noch im selben Jahr meinen ersten Marathon fuhr. 2008 startete ich dann bei der H-T Rennserie, und war meist Letzter.

Ende 2008 kam dann Bernd Jost auf mich zu, sagte zu mir, „Du bist doch auch ein Verrückter wie ich. Willst mit mir zusammen als erste Tetras bei der Vätternrundan in Schweden teilnehmen?“ Das sind 300 Kilometer nonstop und ich sagte ja.

Ab dem Moment ging meine Karriere richtig los und ich trainierte so oft wie möglich. Beim Düsseldorf Marathon 2009 war ich durch die Vorbereitung auf die Vätternrundan so fit, dass ich auf Anhieb den Marathon in meiner Klasse gewinnen konnte, und das in Weltbestzeit. Das machte natürlich Spaß und so  bestreite ich bis heute Marathon- und auch Langstreckenrennen und mache immer wieder spektakuläre Aktionen mit dem Handbike und meinen Teamkollegen, bestreite verschiedene Handbike-Rennserien und bin bis heute über 50 Rennen mit dem Handbike gefahren.

Was würden Sie einem Menschen mit auf den Weg geben, der mit der Diagnose Tetraplegie konfrontiert wird?

  • Nie aufgeben!
  • Kontakt zu anderen Betroffenen suchen
  • Sich nicht verstecken
  • Die Behinderung annehmen
  • Versuchen, das optimale noch aus dem Körper herauszuholen
  • Versuchen, einen geregelten Alltag hinzubekommen
  • Sport treiben!

Weitere Aktionen finden Sie auf der Teamhomepage www.das-tetrateam.de oder auf Jürgen Winklers eigener Homepage www.juergen-winkler.net.

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